Donnerstag, 3. November 2005

Endlich: Mein Handy kann fernsehen!

Worauf wir dringend gewartet haben, wo wir doch schon jetzt 90 Prozent unserer Handyfunktionen nicht nutzen: Mobile TV. Demnächst auf einem Schirm in Ihrer Tasche.

An sich ein interessantes Phänomen: Die Handyindustrie ist auf der Suche nach the next big thing und macht dazu eine Zeitreise zurück in die die 50er und 60er Jahre, als TV die mediale Killerapplikation war. Nokia (stellvertretend für fast alle) wird uns ab Mitte nächsten Jahres mit seinem N92 beglücken, das Fernsehen in den Mittelpunkt rückt -- wenn man nicht gerade die Liebsten fotografieren, Musikhören, E-Mails samt Anhängen verschicken, sein Leben planen, das Auto navigieren will, am besten simultan. Dafür kriegt man auch ordentlich was in die Hand, ich schätze mal das dreifache Volumen des Motorola RAZR. (Hallo Nokia, schon mal überlegt warum das RAZR kultig ist?)

Aber davon mal abgesehen: TV ist ein "medium in decline" (alle mitsingen: Internet kills the TV star), warum setzt dann eine zukunftssuchende Industrie auf das, was seinen Zenith überschritten hat?

Geschenkt: Es gibt Gelegenheiten bei denen man sich zwischendurch mit einem Videoclip die Zeit vertreiben will, und Harald Schmidt kann sein iSchmidt einfach abfilmen statt nur zu sprechen, auch nett. Aber dafür regelmäßig und womöglich auch noch üppig zahlen? Please.

Arbeitsplatz im Web

Zehn Jahre nachdem sich das Web flächendeckend ausbreitete, gibt es noch immer eine relativ scharfe Trennung zwischen dem Web und Stand-Alone-Programmen auf unserem PC - das eine, um Information zu bekommen und darzustellen, das andere zum Schreiben, Organisieren, Bilderbearbeiten usw. Nur Webmail überschreitet diese Grenze.

Eine Reihe junger Webdienste arbeitet daran, dass der Webbrowser nicht nur ein Fenster in die virtuelle Welt ist, sondern auch zum Arbeitsplatz wird und dabei Vorteile gegenüber Programmen am PC hat. "Writely" (www.writely. com) z. B. ist eine Online-Textverarbeitung, bei der Schreiben in einem Fenster des Webbrowsers stattfindet und keine Textverarbeitung am PC nötig ist.

Im Wesentlichen funktioniert Writely so wie von Word (dem De-facto-Monopol bei Textverarbeitungen) gewohnt. Writely kann und will mit den komplexen Fähigkeiten von Word nicht konkurrieren sondern setzt auf Koexistenz. Word-Dokumente können in ein Writely-Dokument geladen werden, Online erstellte Texte können nicht nur online, sondern auch lokal im Word-Format gespeichert werden (wobei komplexe Formatierungen nicht optimal übernommen werden).

Was bringt ein Webprogramm wie Writely, wenn es die Nachteile hat, eine Online-Verbindung zu brauchen und weniger zu können als Offline-Textverarbeitungen? Einerseits steht sie auch auf einem fremden PC zur Verfügung, ohne dass man nach dem Schreiben einen Weg suchen muss, das Dokument auf den eigenen PC zu befördern. Ein Dokument ist immer und überall greifbar, ohne dass man es per USB-Stick oder Mail transferieren und auf verschiedenen Geräten auf den letzten Stand bringen muss. Viele Benutzer, die gerade einmal die Eisbergspitze der Wordfunktionalitäten kratzen, werden die Simplizität von Writely als Vorteil und nicht als Nachteil sehen.

Andererseits läuft Writely dann zur Höchstform auf, wenn mehrere Menschen gemeinsam an einem Dokument arbeiten: Jeder, dem Sie Zugriff ermöglichen, kann mitschreiben - E-Mail-Verständigungen halten "Kollaborateure" über Änderungen auf dem Laufenden.

Ein Pionier dieser Entwicklung, "37 Signals" (www.37signals .com), bietet eine Palette von Onlineprogrammen an, die von Projektmanagement (Basecamp, optimal für Zusammenarbeit mit externen Partnern), Online-Organizer (Backpack) bis zu simplen Online-to-do-Listen reichen. Mein Favorit ist "Writeboard", bei dem mit wenigen Klicks eine Art weißes Brett für beliebig viele Benutzer eingerichtet wird: Darauf können Leute laufend ihre Einträge zu einem Thema machen und Kommentare zu Einträgen schreiben.

Onlinetools haben, dank omnipräsenten Internets, großes Potenzial und werden immer vielfältiger, von Fotosites wie "Flickr" (www.flickr. com, Personal Tools vom 11. Juni 2005) bis zu Instrumenten für die Teamarbeit wie vom österreichischen Anbieter "inBox.cc". Auch wenn sie derzeit ein Fall für "Early Adopters" sind: Es lohnt sich, die Angebote anzuschauen und darunter vielleicht Brauchbares für die eigene Arbeit zu entdecken.
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@2005 Der Standard / Helmut Spudich

Wikifikation

Viele gute Dinge brauchen ihre Zeit, um sich durchzusetzen und einen breiteren Benutzerkreis zu finden. Für Wikipedia, die "freie Enzyklopädie" im Internet, scheint diese Zeit einer breiteren Akzeptanz gekommen. Damit eröffnet sich noch eine größere Dimension: für das "Wiki"-Prinzip der Wissensvermittlung, der sich alle Arten von Organisationen bedienen können.

Wikipedia (www.wikipedia.org, deutsche Ausgabe de.wikipedia.org) bietet sich zunächst dem Benutzer als umfangreiches Lexikon an - über 280.000 Einträge gibt es in deutscher Sprache, rund 600.000 auf Englisch, dazu zahlreiche Versionen in anderen Sprachen. Das Besondere: Diese Enzyklopädie ist nicht das Produkt eines Verlags und einer Hand voll Autoren, sondern das "kollektive Wissen" tausender ehrenamtlicher Autoren ("Wiki" ist eine Webseite, an der jeder arbeiten kann).

Zwei wissen mehr als einer, und das Wissen von tausenden ist umfangreicher als das von hunderten - soweit die Grundlogik, der das gemeinnützige Projekt folgt. Die "Wahrheit" der Darstellung - immer ein Annährungsprozess - ergibt sich aus der möglichst breiten Zustimmung der Autorengemeinschaft, die einander ergänzt und korrigiert. In der Wissenschaft (und bei kommerziellen Lexika) läuft dies unter "Peer Review". Der Unterschied zur Wissenschaft besteht darin, dass man in deren Community "aufgenommen" werden muss (im Wesentlichen durch Universitäten geregelt), die Wikipedia-Community hingegen offen ist - jeder kann Wiki-Autor sein.

Bisher hat sich jedenfalls diese Struktur in der Praxis ganz gut behauptet - eine Reihe Tests, zuletzt in der Zeit, haben Wikipedia gute Noten im Vergleich zur Brockhaus Multimedia Enzyklopädie und Microsoft Encarta erteilt. Wie sich die praktizierte "Konsenstheorie der Wahrheit" längerfristig behaupten kann, werden uns vielleicht Forschungsprojekte beantworten - für Sozialforscher ist die Wikipedia als solches interessant.

Abgesehen vom alltäglichen, praktischen Nutzen weist Wikipedia einen Weg des Wissensmanagements, dessen sich jede Organisation bedienen kann: die systematische Sammlung des Wissens, das in der Organisation vorhanden ist und Basis ihrer Arbeit ist. Egal ob es um Unternehmen, Bildungseinrichtungen oder Non-Profit-Organisationen geht: Ihre Mitarbeiter sind ihre Experten, und deren Wissensschatz wird meist nur ungenügend gehoben.

Hinter Wikipedia steht eine Open-Source-Software, MediaWiki, die lizenzgebührenfrei von jedermann eingesetzt werden kann (www.mediawiki.org). Das setzt Expertenwissen voraus, um das Redaktionssystem zu installieren und zu betreiben - eine Aufgabe für die IT-Manager der Organisation.

Damit aber aus den Mitarbeitern der Organisation Autoren werden, braucht es kein besonderes IT-Wissen - das Redaktionssystem ist über den Webbrowser einfach zu bedienen. Der Aufwand liegt darin, dass Individuen und die Organisation als Ganzes lernen müssen, aus den Werkzeugen Wissensmanagement zu machen - kein leichtes Unterfangen, aber ein lohnendes.
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@2005 Der Standard / Helmut Spudich

Achtung, E-Mail senkt Ihren IQ!

Schon aus dem Urlaub zurück und hunderte, womöglich tausende neue E-Mails aus den letzten Wochen im Eingangsfach gefunden? Dann haben wir für Sie diese Warnung des King's College der London University: Die Verwendung von E-Mail kann Ihren IQ um zehn Punkte senken, will eine Studie herausgefunden haben.

Um diesen Verlust an Denkleistung besser einordnen zu können: Das ist doppelt so viel wie der IQ-Abfall, der infolge des Konsums von Cannabis verzeichnet wird - oder, auf hiesige Messgrößen geeicht: wahrscheinlich zweimal ein ordentlicher Vollrausch.

Und im Ernst (obwohl Glenn Wilson, der für den IQ-Teil der Studie zuständige Psychiater, dies allen Ernstes meint): Natürlich ist jedes Mailfach nach dem Urlaub ein wahrer Horror. Und auch ohne Studien schwingt die Implikation, dass Mail dumm machen könnte, in der Haltung vieler ablehnender Zeitgenossen unterschwellig mit.

Verdummend, mindestens aber sozial schädlich, zeitverschwenderisch, abhängig machend - diese Aversionen sind schnell bei der Hand, wenn sich neue Phänomene im Alltag breit machen. Comics waren zweifelsohne lange auf der Liste, Fernsehen, der Walkman, der PC, Internet - und derzeit eben E-Mail. Das Anwachsen der E-Mail-Flut und ihr Überschwappen auf Mobilgeräte, die wir ständig bei uns tragen, macht auch vielen Sorge, die ihre E-Mail nicht nur als gelegentliche Last empfinden, sondern die auch Spaß daran haben.

Dem latenten schlechten Gewissen über die Hervorbringungen unserer tech-getriebenen Alltagskultur lässt sich jedoch einiges entgegnen. Vor rund 20 Jahren ist der Philosoph James Flynn einem interessanten Phänomen auf die Spur gekommen: Seit der IQ gemessen wird, ist der Durchschnitt Generation um Generation gestiegen. Auf den ersten Blick wird das dadurch verdeckt, dass IQ-Tests quasi geeicht, also laufend angepasst werden, um einen Durchschnittswert von 100 zu erhalten. Rechnet man diese Anpassungen heraus, dann ist der kontinuierliche IQ-Anstieg zu erkennen.

In einem provokanten Buch (Everything Bad is Good for You) macht der Wissenschafts- und Technologieautor Steven Johnson dafür gerade die Dinge verantwortlich, die gerne verteufelt werden - TV-Shows, Comicfilme,
Videospiele -, und man könnte ergänzen: Internet und E-Mail. Warum? Weil alle diese Dinge in ihrer wachsenden Komplexität wie eine ständig steigende Dosis von Stimulans wirken, die unser Denken herausfordern, um ihnen folgen zu können. Dazu braucht man nur die Komplexität heutiger TV-Serien mit den simpel gestrickten Kultserien der 70er-Jahre vergleichen oder frühe Videospiele mit heutigen.

Nicht anders verhält es sich mit dem digitalen Arbeitsalltag, der uns ein höheres Maß an Tempo und "Multitasking" abverlangt - gleichfalls eine Stimulation. Dass es davon auch ein Übermaß geben kann - gekauft; und damit zurechtzukommen ist die Herausforderung, der wir uns neben der Beherrschung dieser Techniken stellen müssen. Aber Grund für Kulturpessimismus und schlechtes Gewissen? Dazu muss man schon immer währender Bedenkenträger sein.
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@2005 Der Standard / Helmut Spudich

Handytagebuch: Nokias gut gehütete Killerapp

Nebst Armbanduhr und Geldbörse sind Handys wahrscheinlich das intimste Accessoire, das uns Tag und Nacht begleitet. In dieser Funktion haben sie das Potenzial, quasi zu unserem Vertrauten zu werden: als elektronisches Tagebuch - ein Recorder, der die kleinen und größeren Ereignisse unseres Alltags festhält.

Allerdings ist dieses Handytagebuch eines der bestgehüteten Geheimnisse von Nokia, obwohl es damit angeblich ein Geschäft machen will. "Lifeblog" heißt ein kleines Programm, das am Handy wie am PC komplementär läuft und unauffällig als persönlicher Sekretär agiert.

Lifeblog sammelt alles, was an Erinnerungsstücken in unserem Handy "herumliegt": Abgeschickte und empfangene Kurzmitteilungen und Bilder, die kleinen Schnappschüsse oder Videoclips, die wir mit dem Handy machen, und Notizen, wenn man das Handy dafür verwendet. Es ist erstaunlich, welche Erinnerungen sich dabei im Laufe eines Handylebens ansammeln - wenn man zu den Menschen gehört, die diese Funktionen benutzen (und hat man erst einmal dieses Tagebuch entdeckt, steigt die Wahrscheinlichkeit).

Dabei kommt eine praktische Handyfunktion zum Tragen: Jeder Eintrag hat automatisch einen Datumsstempel, bei Bildern wird auch der Ort der Aufnahme aufgezeichnet; einstweilen nur das Land - es liegt an den Handyprovidern, dass sie genauere Daten liefern, denn ein eingeschaltetes Handy "weiß" immer genau, wo es sich befindet.

Lifeblog am PC (leider keine Mac-Version) "saugt" alle diese Memorabilia vom Handy und speichert sie auf dem eigenen Computer; womit sie auch gerettet sind, wenn man eines Tages das Handy wechselt. Am PC können Dateien (Fotos, Musik) vom PC und zusätzliche Notizen leicht hinzugefügt werden. Die Augenblicke, die man gern immer bei sich tragen will, werden als "Favoriten" am Handy belassen, die anderen gelöscht, um Platz für neue Erinnerungen zu machen.

Am PC wird daraus ein wunderschönes "Scrapbook" in einer Zeitreihe, das naturgemäß mit zeitlicher Distanz zu den Ereignissen gewinnt. Erstaunlich übrigens, dass für den Erinnerungswert die Qualität der Bilder wenig Rolle spielt, und mit den nächsten Generationen von Handys wird sie ohnedies besser.

Anders als der Name Lifeblog suggeriert, bleiben diese privaten Erinnerungen auch privat - sie werden auf dem PC gespeichert und sind kein Blog (Weblog - eine Art Onlinetagebuch). Aber wer will, kann aus einzelnen Teilen schnell auch ein richtiges Blog machen und publizieren.

Ein Wort zu den Nachteilen: Erstens kostet Lifeblog 29 Euro - das ist es wert, aber in Zeiten des Nulltarifs ungewöhnlich. Zweitens sind nicht alle Handys Lifeblog-tauglich; man braucht ein "Serie-60-Handy" von Nokia (das sind die mit den großen Bildschirmen, eine Liste findet man bei nokia.com). Theoretisch sollten auch Serie-60-Handys anderer Hersteller das Programm verwenden können, aber dazu gibt es keine Bestätigung. Jedenfalls ist Lifeblog ein sehr einfach zu benutzendes Programm, das durchaus zu den Kriterien beim nächsten Handykauf zählen sollte.
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@2005 Der Standard / Helmut Spudich

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