Wikifikation

Viele gute Dinge brauchen ihre Zeit, um sich durchzusetzen und einen breiteren Benutzerkreis zu finden. Für Wikipedia, die "freie Enzyklopädie" im Internet, scheint diese Zeit einer breiteren Akzeptanz gekommen. Damit eröffnet sich noch eine größere Dimension: für das "Wiki"-Prinzip der Wissensvermittlung, der sich alle Arten von Organisationen bedienen können.

Wikipedia (www.wikipedia.org, deutsche Ausgabe de.wikipedia.org) bietet sich zunächst dem Benutzer als umfangreiches Lexikon an - über 280.000 Einträge gibt es in deutscher Sprache, rund 600.000 auf Englisch, dazu zahlreiche Versionen in anderen Sprachen. Das Besondere: Diese Enzyklopädie ist nicht das Produkt eines Verlags und einer Hand voll Autoren, sondern das "kollektive Wissen" tausender ehrenamtlicher Autoren ("Wiki" ist eine Webseite, an der jeder arbeiten kann).

Zwei wissen mehr als einer, und das Wissen von tausenden ist umfangreicher als das von hunderten - soweit die Grundlogik, der das gemeinnützige Projekt folgt. Die "Wahrheit" der Darstellung - immer ein Annährungsprozess - ergibt sich aus der möglichst breiten Zustimmung der Autorengemeinschaft, die einander ergänzt und korrigiert. In der Wissenschaft (und bei kommerziellen Lexika) läuft dies unter "Peer Review". Der Unterschied zur Wissenschaft besteht darin, dass man in deren Community "aufgenommen" werden muss (im Wesentlichen durch Universitäten geregelt), die Wikipedia-Community hingegen offen ist - jeder kann Wiki-Autor sein.

Bisher hat sich jedenfalls diese Struktur in der Praxis ganz gut behauptet - eine Reihe Tests, zuletzt in der Zeit, haben Wikipedia gute Noten im Vergleich zur Brockhaus Multimedia Enzyklopädie und Microsoft Encarta erteilt. Wie sich die praktizierte "Konsenstheorie der Wahrheit" längerfristig behaupten kann, werden uns vielleicht Forschungsprojekte beantworten - für Sozialforscher ist die Wikipedia als solches interessant.

Abgesehen vom alltäglichen, praktischen Nutzen weist Wikipedia einen Weg des Wissensmanagements, dessen sich jede Organisation bedienen kann: die systematische Sammlung des Wissens, das in der Organisation vorhanden ist und Basis ihrer Arbeit ist. Egal ob es um Unternehmen, Bildungseinrichtungen oder Non-Profit-Organisationen geht: Ihre Mitarbeiter sind ihre Experten, und deren Wissensschatz wird meist nur ungenügend gehoben.

Hinter Wikipedia steht eine Open-Source-Software, MediaWiki, die lizenzgebührenfrei von jedermann eingesetzt werden kann (www.mediawiki.org). Das setzt Expertenwissen voraus, um das Redaktionssystem zu installieren und zu betreiben - eine Aufgabe für die IT-Manager der Organisation.

Damit aber aus den Mitarbeitern der Organisation Autoren werden, braucht es kein besonderes IT-Wissen - das Redaktionssystem ist über den Webbrowser einfach zu bedienen. Der Aufwand liegt darin, dass Individuen und die Organisation als Ganzes lernen müssen, aus den Werkzeugen Wissensmanagement zu machen - kein leichtes Unterfangen, aber ein lohnendes.
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@2005 Der Standard / Helmut Spudich

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