Das Online-Lesebuch

Eigentlich könnten wir dank Internet auf die meisten gedruckten Medien verzichten: Gegenüber Print hat das Netz den Vorteil, umfassender und schneller zu sein. Wenn da nicht ein "kleines" Problem wäre: das Lesen am PC. Selbst wenn es ein Notebook ist - letztlich bleiben wir an einen Tisch oder eine Unterlage gebunden. Der stereotype Einwand gegen Internet als primäres Medium: Im Wohnzimmer, am Küchentisch, im Bett etc. geht nichts über das Handling einer Zeitung.

Internet bleibt weiterhin auf der Suche nach einem bequemen Trägermedium, das so praktisch handzuhaben ist wie Print. Nokia unternimmt jetzt mit einem neuen Gadget einen interessanten (aber leider begrenzt tauglichen) Versuch, dieses Dilemma zu lösen: Das Internet Tablet 770, das dieser Tage für Nokia-Verhältnisse still und leise in den (Online-)Handel gekommen ist (359 Euro; www.nokia. at/german/phones/phone
models/770/).

Das Internet Tablet ist kein Handy - man kann damit nicht telefonieren, und es hat keinen Mobilfunkanschluss. Es ist eine Art elektronische Lese-und Schreibtafel, die ausschließlich für Internet gemacht ist: ein Webbrowser, ein Mailprogramm und Zubehör wie Audio- und Videoplayer, PDF-Reader, Rechner, Notizblock und ein paar Spiele. Bedient wird das Gerät mit einem Stift (Displaytastatur oder Handschriftenerkennung). Die Onlineverbindung wird über WiFi (drahtloses Netz = Wireless LAN) hergestellt; alternativ mittels Bluetooth auch mit Handy. Das Ganze in der Größe eines (sehr) kleinen Taschenbuchs, wobei der Vier-Zoll-Schirm quer gehalten wird.

Nokia positioniert das Internet Tablet als eine Art Zweitgerät für den Onlinegebrauch daheim - um zwischendurch mailen zu können, im Wohnzimmer im Online-TV-Programm nachschauen zu können oder in der Küche in einem Rezept nachzuschauen. Das sind zwar Klischees, aber es ist tatsächlich charakteristisch für viele alltägliche Situationen, in denen Internetverwendung eigentlich sperrig ist, siehe oben.

Nokia hat richtigerweise das Manko des Internets - ein fehlendes Endgerät, das kein "Computer" ist - identifiziert, hat aber einstweilen dagegen nur eine ungenügende Lösung. Hauptproblem des Tablets: Es ist einfach viel zu klein geraten. Zwar ist das Display mehr als doppelt so groß wie große Handydisplays, aber entweder entscheidet man sich für eine lesbare Schriftgröße und Verwirrung (weil nur ein kleiner Ausschnitt der jeweiligen Seite zu sehen ist) oder für Überblick und unleserlich kleine Schrift. Das kann man auch von Organizern wie dem Palm LifeDrive zu ähnlichem Preis haben, mit dem positivem Unterschied, dass man damit einen funktionstüchtigen, vielseitigen Organizer mit eingeschränktem Internetkonsum hat.

Trotzdem weckt der Versuch Hoffnung: Denn die derzeit einzigen "Internet-Tafeln" in vernünftiger Größe sind TabletPCs, die jedoch ungleich teurer und schwerer sind. Meine Wunschvorstellung: Das Nokia Tablet wächst bis zur nächsten Auflage kräftig, sagen wir in Magazingröße, ohne gleich ein teurer PC zu werden. Dann kämen wir einem "richtigen" Internet-Endgerät schon sehr nahe.
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© 2005 Helmut Spudich | Der Standard

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